Deaflympics 2022 in Caxias do sul / BRA

Ein Erfahrungsbericht von Alexander Bley
(Fotos: DGS / Schneid & Kleinert)

Vom 01. – 15. Mai fanden im Süden Brasiliens bei Porto Alegre die 24ten olympischen Sommerspiele für Menschen mit Gehörlosigkeit und Hörminderung statt, offiziell die Deaflympics genannt. Zum bereits dritten Mal hatte ich die Ehre Deutschland im Nationaltrikot bei diesen Spielen zu vertreten. Nach Sofia 2013, Samsun 2017 nun also mal eine weitere Reise nach Südamerika. Insgesamt nahmen fast 3000 Sportler*innen an der Veranstaltung teil, wobei das deutsche Team 86 Sportler stellte.

Die Vorbereitung lief bis eine Woche vor dem Abflug optimal und ein Aufbau durch die Verkettung mehrerer Trainingslager von Portugal über Italien schließlich zum internationalen Highlight nach Brasilien ließ die Form stetig steigen. Als einzigen Aufbauwettkampf fand in der Woche vor Abflug ein flacher 3000m-Wettkampf in Regensburg statt. Die Vorbereitung von wettkampfspezifischen Intensitäten war in der Trainingsplanung die große Herausforderung, da die offizielle Wettkampfsaison erst ab Mai beginnt. Trainingsintensitäten wurden dementsprechend so gut wie möglich in den Trainingsprozess eingebaut. Der Wettkampf in Regensburg lief super und ich konnte einen neuen Deutschen Gehörlosenrekord über diese Distanz in 8:27 min aufstellen. Doch dann kam einen Tag später leider ein unkalkulierbares Problem zustande, ich hatte mir eine Sprunggelenksreizung zugezogen. Dies hatte zur Folge, dass der erste Laufschritt 9 Tage später in Brasilien erst wieder erfolgen konnte.

Zum Glück hielt „der Fuß der Nation“, wie ein Freund ironischerweise sagte, den Laufbelastungen stand und das Team konnte aufatmen. Mit regelmäßigem Kontakt zu Ulli, sowie Bundestrainer Wolfgang Irle, physiotherapeutischer und ärztlicher Betreuung vor Ort war das Team optimal aufgestellt. Muskulär war es eine starke Herausforderung wieder ins Lauftraining einzusteigen und ein starker Muskelkater hielt sich bis zu den ersten Wettkämpfen hartnäckig.

Die Bedingungen in Brasilien waren sehr durchwachsen und durchaus anders als erwartet. Im Mai befindet sich das Land kur vor dem Winter und das Wetter reichte von starken Regentagen mit weniger als 10°C bis zu Sonnenschein mit mehr als 20°C. Allerdings war die Luft immer sehr klar, was möglichweise an der Höhe von 850m gelegen haben könnte. Den organisatorischen Rahmenbedingungen muss man leider ein schlechtes Zeugnis ausstellen und wir hatten als Team mit sehr vielen Hürden und Problemen zu kämpfen. Dies reichte von dem Hotelzimmer, der Verpflegung über die Personenlogistik bis hin zum Stadion. Umstände, unter denen meiner Meinung nach ein solches Event nicht stattfinden dürfte. Unter dem Strich mussten wir, wie auch die Sportler anderer Nationen das Beste daraus machen. Schließlich fanden alle die gleichen Bedingungen vor und wir Europäer sind sowieso einen hohen Standard gewohnt.


1.500 Meter (Vorlauf und Finale)

An den Start ging ich über die Distanzen 1500m (Vorlauf und Finale) und 3000m Hindernis (Finale). Da auch bei diesem Sportevent die russischen und belarussische Sportler ausgeschlossen wurden, waren die Teilnehmerfelder etwas ausgedünnter als sonst. Im Laufbereich sollte das der Laufqualität aufgrund der afrikanischen Teilnehmer allerdings keinen Abstrich tun. Insbesondere die Kenianer waren in der Vergangenheit immer die stärkste Konkurrenz und sollten dies auch wieder sein.

Bei dem 1500m Vorlauf konnte ich mich direkt für das Finale am folgenden Tag qualifizieren. Diese Vorläufe sind immer eine erste Tuchfühlung mit den Konkurrenten, die auch Berücksichtigung in der Auslegung der eigenen Taktik für den Finallauf von Bedeutung sind. In diesem Falle gab es zwei mögliche Szenarien: 1. Die Kenianer rennen wie ein Express geschlossen vorne weg oder 2. es wird ein Bummelrennen mit schnellem Ende. Bevorzugen tue ich lieber die klassischen Meisterschaftsrennen, als ein schnelles Rennen von Beginn. Für ein olympisches Finale muss man natürlich für alles gewappnet sein – und das war ich auch.

Im Finale liefen die drei Kenianer ein höllisches Tempo über die ersten 800m an und ich musste diese Gruppe leider schon früh reißen lassen und nahm mit der zweiten Gruppe 30m dahinter die Verfolgungsjagd auf (siehe Foto). Ehrlicherweise spekulierte ich aus Erfahrung darauf, dass nicht alle drei Kenianer das Tempo bis zum Schluss halten können und so sollte es auch kommen. Eine Runde vor Schluss fiel ich für 150m in ein mentales Loch und dachte den Medaillentraum begraben zu müssen. Ein Amerikaner und Spanier waren an mir vorbeigezogen, nachdem ich die Gruppenarbeit an die Kenianer heran geleistet hatte.

Und dann kamen die letzten 250m, die ich rückblickend selbst kaum glauben kann. „Alex, du bist im olympischen Finale und kannst hier jetzt nicht einfach deinen Medaillentraum begraben“ kam in mir auf und mein Wille fing einfach an zu laufen. Am ersten Kenianer vorbei, dann an dem Amerikaner und dann auch noch dem zweiten Kenianer vorbei bis auf Platz drei vor. Und damit lief ich bis über die Ziellinie und hatte es geschafft, eine Medaille bei den Deaflympics!

Es lief alles ab, wie in einem Film. 15 Minuten nach dem Zieleinlauf folgte schon die Medaillenzeremonie nach der ich direkt zur Dopingkontrolle weiter musste. Und da saß ich dann erst einmal für 2h und warte auf das Druckgefühl der Blase. Zeit, um etwas herunterzukommen und Zeit, um zu realisieren was ich da gerade geschafft hatte.

3.000 Meter Hindernis (Finale)

Drei Tage später folgten noch der Lauf über 3000m Hindernis in den ich mit befreitem Gefühl an den Start ging. Auch hier waren drei Kenianer wieder die Hauptkonkurrenten. Nach einer Tempoverschärfung im Rennen hatte ich Probleme zu folgen und kämpfte mich bis eine Runde vor Schluss noch auf den zweiten Platz vor und hatte es wirklich vollbracht. Die zweite Medaille bei den Deaflympics und dazu noch die Silberne. Kaum zu fassen, unwirklich, sprachlos und überglücklich spiegelte meine Gefühlswelt am besten wieder. Natürlich war der Ehrgeiz vor dem Rennen ungebrochen hier den Olympiatitel holen zu wollen, aber ich habe wirklich alles gegeben und kann mit zwei Olympiamedaillen nach Hause fliegen! Ein sportlicher Lebenstraum, der in Brasilien in Erfüllung gegangen ist.

Aus Brasilien bin ich mit einem freuenden und einem etwas enttäuschten Auge wieder zurückgekommen. Das Freuende überwiegt natürlich bei Weitem, aber leider muss man auch die gesamten Rahmenbedingungen bei diesen Spielen ganz klar kritisieren. Denn dort geht es um Leistungssport und Sportler, die alles dafür geben ihre beste Leistung abzuliefern. Das sollte im Mittelpunkt der gesamten Planung stehen und professionell umgesetzt werden. Ein anderes Thema ist der Lebensstandard in diesem Land, der mich nach dieser Reise wieder wissen lässt, wie gut es uns in Deutschland eigentlich geht. Eine sehr wertvolle Wertschätzung, von der sich ein Großteil der Gesellschaft eine Scheibe abschneiden sollte, da für uns zu viele alltägliche Dinge selbstverständlich sind.

Zum Schluss möchte ich an dieser Stelle meinen größten Dank an Ulli als Heimtrainer aussprechen. Ich bin wirklich sehr froh zusammen mit ihm diese Erfolge feiern zu dürfen und er hat einen riesigen Anteil an diesen Leistungen. Danke Ulli!